Lachen schafft innere Distanz
Ines
Grämiger und Werner Binder, Psychotherapeuten, Zürich, im Gespräch mit Dr.
Roland Schutzbach, Philosoph und Lach-Experte, Ins
Das Gespräch wurde am
23.2.2001 geführt und auf Video aufgenommen.
Ines Grämiger und
Werner Binder haben einmal im Sommer 2000 auf einer Konferenz mit Roland S.
gelacht. Im Februar 2001 kamen sie zu einer erneuten Lach-Erfahrung im kleinen
Kreis in Zürich zusammen und beziehen sich im folgenden auf diese Erfahrungen.
Roland Schutzbach: „Ihr
beiden habt bisher zweimal die Erfahrung des „grundlosen Lachens“ gemacht. Könnt
ihr sagen, was da persönlich mit euch passiert ist, und wie ihr das Phänomen
psychologisch beurteilt?“
Werner Binder:
„Ich finde das Lachen aus der Heiterkeit und aus dem Wohlsein heraus etwas Schönes.
Selbst wenn ich mich auf Ernsthaftigkeit einstimme, bekomme ich einen Lachreiz.
Unser gemeinsamen Lachen ist immer so freundlich, so freundschaftlich, so in
Ordnung. Es tut auch körperlich sehr gut.
Aus fachlicher Sicht gesehen,
ergibt sich durch das Lachen eine Distanz zur Überidentifikation. In der
Entspannung sehe ich meine Probleme in einem weiteren Rahmen, wie von einem
Berggipfel aus. Dadurch entsteht Leichtigkeit, ja Leicht-Sinnigkeit. Das ist
neben der Tiefsinnigkeit etwas ganz Gutes und Wohltuendes. Lachen bricht den Über-Ernst
und die Über-Identifikation und ist somit wirklich heilend.“
Ines Grämiger:
„Ich habe nach unserem ersten gemeinsamen Lachen letztes Jahr erlebt, dass ich
seither im Alltag intensiver und bewusster lache, es wird viel zentraler in
meinem Alltag. Durch das Bewusstsein kann ich es sogar besser auskosten...
Es gibt zwei verschieden Arten zu
lachen: Die eine kommt aus echter Heiterkeit, die andere ist eine Abwehr gegen
Depressionen. Diese beiden Arten sollte man sorgfältig unterscheiden. Es darf
kein Tabu sein, dass jemand traurig ist. Man sollte darauf eingehen und es
integrieren, dann kann man anschliessend noch einmal herzlich lachen.“
W.B.: „Das Lachen kann die
Trauer öffnen, und die Trauer kann das Lachen öffnen.“
I.G.: „Roland, wir haben die
Unterlagen über deine Projekte gelesen. Kannst du das noch persönlich ausführen?“
R.S.: Das Projekt „Die Schweiz
lacht über sich selbst“ ist erst eine Woche alt. Ich bin sowieso zur Zeit in
einer Art Kreativ-Schub und entwickle sehr viele neue Ideen und Projekte.
Vielleicht will ich mich bei der Schweizer Regierung als
„Humor-Beauftragter“ bewerben, das ist noch einmal etwas kühner als die
anderen Dinge, die ich vorhabe.
Wir sprachen zunächst über die
geplante „Lach- und Spass-Praxis“, über das Lachen im Bahnhof Zürich, die
„Lach-Parade“, über die Idee des „dargebotenen Lachens“...
I.G.: „Das musst du noch ein
bisschen erklären!“
R.S.: „Das geht ganz einfach,
per Telefon, wie die „dargebotene Hand“...Ist erst mal eine Idee.
Der Auslöser für das Projekt
„Die Schweiz lacht über sich selbst“ war ein Artikel im „Bund“ vor zwei
Wochen. Eine Untersuchung über den Gesundheitszustand der Bevölkerung kam zu
ziemlich schlechten Ergebnissen in Bezug auf das psychische Wohlbefinden, und
zwar besonders bei den jüngeren Menschen bis 35 Jahre. Meine bisherigen
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass das gemeinsame Lachen nachhaltige
Wirkungen zeigt in dem Sinne, dass man dann bewusster und öfter lacht. Dadurch
steigt sozusagen das Heiterkeits-Niveau. Von daher entstand die Idee, eine
grossangelegte „Heiterkeits-Kampagne“ zu starten, die praktisch die ganze
Schweiz zum Lachen bringen soll – eine Art Freudenfest, bei dem die positiven
Grund-Kräfte, die ja überall latent vorhanden sind, gestärkt werden. Die Idee
ist, jetzt einmal auf diese Positiv-Kräfte zu setzen. Man könnte die
Heiterkeits-Fachleute dieser Welt, die Lebenskünstler, die glücklichen
Menschen einladen, um uns zu helfen, die wir ja alle in dem
Ernsthaftigkeits-Paradigma leben.
Eigentlich wissen wir Mitteleuropäer,
dass wir die Tendenz haben, immer alles negativ und schwer zu nehmen. Wir haben
nicht so das Talent, die heiteren Seiten zu sehen.
Stellen wir uns einen Sonntag im
Sommer vor. In den Städten gibt es – z.B. in den Freiluft-Kinos – grosse
Leinwände. Dort erscheinen Patch Adams und andere grosse Humoristen,
zehntausende von Leuten sind in den Parks, es gibt riesige Gelächter, über die
das Fernsehen berichtet. Man kann natürlich auch zuhause mitlachen. Es gibt überall
Clowns und Pantomimen. Das wäre ein riesiges Festival der Freude. Gleichzeitig
wäre es ein grosser Image-Gewinn für die Schweiz, die eher berühmt ist für
ihre Ernsthaftigkeit, für die Überbetonung des Pflichtgefühls: „Aha, die
Schweizer können auch lachen und sich freuen, sie können richtig lustig sein!
Das ist wunderbar, das macht sie sympathisch!“ Ich will mit den Behörden
zusammenarbeiten, denn eigentlich besteht in dieser Hinsicht dringender
Handlungsbedarf. Ich würde das Ganze mit einem Team von Fachleuten angehen, die
ich z.T. schon habe...Ihr fangt schon an zu lachen, jetzt seid ihr an der Reihe.
Was haltet ihr davon?“
W.B.: „Ich stelle mir ein
Lach-Fest vor. Lachen hat etwas Festliches. Wenn wir Schweizer zusammen lachen
oder gar über uns selber lachen könnten, dann wäre das ein ganz grosser
Sprung – im Lande Calvins! Das wäre ein riesiges Ereignis!“
I.G.: „Ich könnte mir auch
vorstellen, dass man im Tram lacht, wo doch die Leute oft einigermassen griesgrämig
sind. Ich finde dein Konzept sehr interessant.“
W.B.: „Ich habe eine Frage an
dich: Ist das Lachen nicht ein Rückzug ins Vergnügen? Es gibt doch so viele
Probleme – soziale Probleme, die wir lösen müssen. Werden wir sie nach wie
vor lösen, oder lachen wir dann nur noch? Nehmen wir dann die sozialen Probleme
noch ernst?“
R. S.: „Diese Frage habe ich
auch von anderer Seite schon gehört, und sie ist auch berechtigt. Die Sorge
besteht darin, dass wir unsere Verantwortung nicht mehr richtig wahrnehmen, dass
wir sozusagen abheben. Wir wollen uns das nicht erlauben.
Ich sehe die Fragestellung
umgekehrt. Ich behaupte, aus philosophischer Sicht, dass diese ganze Schöpfung
ein Freudenereignis ist. Es ist eine unglaubliche, grossartige, freudige Energie
am Werk. Unsere Wissenschaft haut im Grunde daneben, wenn sie das Universum nur
mechanistisch erklärt und sagt, dass es sich um ausschliesslich physikalische
Prozesse handelt. Natürlich wirken auch diese physikalischen Gesetzmässigkeiten
– aber die tiefere – oder höhere - Ebene ist die Ebene der Liebe und der
Freude.
Dies haben die Wissenschaft und das öffentliche westliche Bewusstsein noch nicht so recht entdeckt. Wir glauben, dass die Materie und das Universum eigentlich tot sind. Und in diesem Zusammenhang glauben wir auch, dass unsere Welt und unser Dasein ein Jammertal sind. Solche unbewussten Überzeugungen sind auch z.T. auf die religiösen Traditionen zurückzuführen, die natürlich durchaus ihre Berechtigung haben und hatten – denn die Welt war lange Zeit, rein von den Überlebensbedingungen her, eine Art Jammertal. Und wenn sie es nicht war, hatten die herrschenden Kreis ein Interesse daran, sie als Jammertal darzustellen.
Wenn ich zu dem Erlebnis einer
echten, herzlichen, überschäumenden Freude komme, zur lebendigen Begegnung mit
anderen und zur Hingabe an das Erlebnis der Freude – dann kann ich auftanken für
die schweren, schwierigen Aufgaben. Dann habe ich auch mehr Kraft, diese
Aufgaben durchzuziehen.
Es geht z.B. um einen Schutz vor
dem Burn-Out, der gerade auch in sozialen Einrichtungen weit verbreitet ist.
Ich habe sieben Jahre in der
Drogentherapie gearbeitet. Man kann z.T. beobachten, wie die Freude-Energie
immer mehr abgebaut wird, wie manche MitarbeiterInnen am Schluss nur noch
funktionieren. Der eigentliche innere Kern der Lebendigkeit und der Gegenwärtigkeit
wird sozusagen ausgetrocknet, so dass keine Kraft mehr da ist.
Daher also sehe ich es umgekehrt:
An diesen Kern wollen wir herankommen, um ihn zu stärken. Dafür braucht es
wohl so etwas wie eine Grenzüberschreitung. Das Bewusstsein, das immer „aber,
aber“ sagt, das Angst hat vor dem Unbekannten und der Veränderung, überschreitet
sich selbst und fasst den Mut zu sagen: „Ich probiere es einfach“. Und
derjenige, der es versucht, übt dann auch das Vertrauen in die eigenen
Wahrnehmungen. Und er stellt fest, dass er durch diese Überschreitung Kraft
gewinnt, um sozusagen Gutes zu tun, um zu dienen und anderen zu helfen...“
Werner Binder: „Eine wunderschöne,
tolle Antwort!“
Ines: „Ich möchte hier noch
etwas gemäss der Schicksalspsychologie von Leopold Szondi, die ich unterrichte
und sehr wesentlich finde, untermauern.
Szondi sagt, dass immer nur die Integration heilend ist und zur Gesundheit führt. Lachen und Trauer sind Schatten voneinander, die man nicht voneinander abspalten sollte. Es ist heilend, wenn man diese Aspekte durch ein „und“ verbindet. Wenn wir uns Schweizer betrachten, dann sind wir viel zu ernst und zu belastet. Die Schweiz ist, astrologisch gesprochen, ein „Jungfrauen“-Land. Daher wäre es schön, den Gegenpol aus dem Schatten zu heben. Es sollte aber auf keinen Fall ein „Entweder-Oder“ sein. Ein Humor-Projekt würde unser Bewusstsein, wer wir Schweizer eigentlich sind, schärfen...Wir sind sicher nicht ein freudiges, vergnügungssüchtiges Volk – das ist eine Angst, die wir sicher nicht haben müssen!“
Roland: „Sehr gut!“ (Gelächter
entsteht und wird immer stärker)
Werner: „Wir haben so viel
Angst, wir könnten zu lustig werden! Ha
ha ha ha!“
Alle: „Ha ha ha ha! Ho ho ho ho ho ho ho!"
Ines: „Das ist die berühmte
Kohlkopf-Angst. Angst vor dem Schatten ist immer die Angst davor, dass der
Schatten ein riesiger Kohlkopf werden könnte – also die Angst davor, dass wir
nicht mehr aufhören können zu lachen.“
Roland: „Das wäre jetzt ein
Beispiel für das „Lachen über sich selbst“ – weil wir Angst haben, wir könnten
zu lustig werden! Ha ha ha!“
Alle:
„Ha ha ho ho hi hi! Ha ha ha ha ha! Ho ho ho ho ho ho ho ho ho! Ha ha ha ha ha
ha ha ha ha ha ha!“
Werner: “Aufpassen, Leute!
Aufpassen! Nicht zu lustig sein! Ha ha ha ha ha ha ha ha ha ha! – Das ist eine
der Kernängste von uns Schweizern – wir könnten zu lustig sein!“
Alle:
„Ha ha ha ha ha ha hah hah hah!”
Werner: “Wir könnten nicht mehr
zu lachen aufhören! Ha ha ha ha
ha! Wir könnten einen Zentimeter vom schweren Boden abheben! Ho
ho ho ho ho!”
Alle:
„Ha ha ha ha ha ho ho ho ho ho!”
Werner: “Es werden ganz viele
Einwände kommen und sagen: Passt auf mit dem Lachen, passt auf! Es werden ganze
Berichte und Untersuchungen verfasst werden über die Gefahren, und darüber,
was Schreckliches passieren könnte! Stell dir vor! Ha
ha ha ha ha! Du machst etwas ganz Gefährliches!
Unsere ganze Identität ist gefährdet! Die ganze Reformation! Ich glaube, jetzt
wird’s gefährlich, wir sollten jetzt aufhören...ha ha ho ho ho ho ho ho ho
ho! Hi hi hi hi hi hi hi!“
Ines: „Man schafft es eh nicht länger
als eine Stunde!“
Werner: „Ja, Gott sei Dank!“
Die Gruppe beruhigt sich wieder etwas
Ines: „Weisst du, was ich ganz
herrlich fände: Ich würde gerne einmal Politiker über sich selbst lachen
sehen. Jeder soll mal über sich selbst lachen, und das müsste man dann zeigen.
Ich kann den Blocher nicht mehr im Fernsehen sehen, er bekommt so viel Raum.
Aber das würde ich gerne sehen, wie er über sich selbst lacht.“
Roland: „Der ist jetzt
vielleicht gerade die härteste Nuss...“
In der Folge entschliessen wir uns, das „Lachen über sich selbst“ direkt auszuprobieren. Jeder definiert daraufhin sein persönliches Thema. Ines und Werner lachen, verkürzt ausgedrückt, über ihren Hang, alles immer so ernst zu nehmen. Roland lacht über seine Tendenz, immer gleich gigantische Projekte starten zu wollen. Nach kleinen Anlaufschwierigkeiten stellen wir fest, dass es besser geht, wenn wir uns auch gegenseitig – liebevoll – auslachen, was wir dann auch ausführlich tun, und beschliessen die interessante, amüsante und tiefgehende Begegnung mit einem gemütlichen Mittagessen im Restaurant.
Protokoll:
Roland Schutzbach